Vielleicht liegt die Antwort auf diese Frage im ewigen Dilemma zwischen Mann und Frau. Als Klischeevorstellung gilt: Für viele Frauen haben intensive Liebesgefühle hohe Priorität im Leben. Geborgenheit, Zärtlichkeit und Sicherheit sind hohe Werte, die Frauen demnach in den Vordergrund stellen. Sexualität ist für viele die schönste Nebensache der Welt, die manche nur ihrem geliebten Partner vorbehält. Betrügt der Mann die Frau, nimmt die Frau das oft übel. Sie kann Liebestaumel und Sexualität meist nicht gut trennen. Seitensprünge werden als Beweis mangelnder Liebe gesehen. Die Frage ist nur, ob das tatsächlich immer zutrifft.
Menschen empfinden verschieden. Dem Klischee nach können Männer Liebe und Sex trennen. Sie können gelegentlich andere Sexgespielinnen haben, aber trotzdem ihre Ehefrauen lieben. Für die Ehefrau ist das ein Widerspruch. Sie fühlt sich betrogen. Oftmals fühlen sich die Geliebten am Ende nicht weniger betrogen, weil der Mann sich auch nach jahrelanger Beziehung nicht von seiner Ehefrau trennt. Dieses Dilemma ist fast jedem bekannt. Doch man könnte es durchaus besser lösen, wenn man Liebe und Sex trennen würde.
Liebesgefühle versus Sex – oder was?
Liebe ist gekennzeichnet durch ein starkes emotionelles Band zwischen zwei Menschen. Wir kennen die Mutterliebe und die Liebesehe zwischen Mann und Frau. Aber es gibt auch andere Formen der Liebe. Sie sind durch gegenseitige Fürsorge gekennzeichnet und basieren auf Vertrauen. Man möchte ein gemeinsames Leben miteinander gestalten, eventuell Kinder großziehen. Paare verfolgen gemeinsame Ziele. Sexualität ist ein wichtiger Ausdruck von Liebe, aber Sexualität kann auch vollkommen ohne liebende Gefühle stattfinden.
Andererseits kann auch die Liebe vollkommen ohne Sexualität auskommen. Sie kann sogar sehr viel intensiver sein, wenn das Problemfeld „Sexualität“ ausgeklammert wird. Probleme sind in diesem Bereich meistens durch unterschiedliche Bedürfnisse oder unterschiedliche Vorstellungen zu erwarten. Der Mann, dessen sexueller Trieb odft sehr viel stärker ist als der der Frau, möchte öfter Sex als sie – und schon ist sie genervt. Auf der anderen Seite fühlt der Mann sich oft zurückgesetzt, wenn das erste Kind da ist und die Frau sich zärtlich darum kümmert. Ihre sexuellen Interessen sind dann zum Leidwesen der Männer weniger stark ausgeprägt. Hier eine gesunde Mitte zu finden, ist für beide nicht leicht. Oft endet es dabei, dass Konflikte und Frustrationen entstehen. Beide Seiten fühlen sich in ihren Bedürfnissen unverstanden.
Liebe und Sex trennen
Sex ist zweifellos gut für die Liebe. Es ist die Betätigung, bei der größtmögliche Intimität und Nähe entstehen können. Männer sagen gelegentlich, nach spätestens drei Jahren sei die Luft raus. Der Sex mit immer derselben Frau wird uninteressant. Der Jagdinstinkt erwacht von Neuem. Die Zahl der Seitensprung-, Dating- und Escort-Agenturen sagt etwas darüber aus, wie die Sache mit dem Sex wirklich aussieht: Man ist nicht immer ehrlich damit. Auch gebundene Personen suchen einen Partner für tabulosen Sex. Sie betrügen ihre Beziehungspartner ohne Scham und schlechtes Gewissen.
Sex kann man potenziell mit jedem haben, der einem gefällt. Es müssen weder besondere Sympathien vorhanden sein noch ein Hauch von Liebe. Es genügt, wenn die Triebe beider erwachen und Ausdruck finden. Sex kann man einfach genießen, ohne dass es zu einer Verpflichtung kommt. Manchmal kennt man sein Gegenüber nicht einmal näher. Es bleibt bei einem One-Night-Stand und der Partner hat keinerlei emotionelle Bedeutung. Auch wenn Männer wahrscheinlich öfter einen One-Night-Stand haben, sind auch die Frauen von solchen verpflichtungslosen Vergnügungen nicht ausgeschlossen. Sie haben dann allerdings eher länger andauernde Affären, weil One-Night-Stands auf Dauer wenig befriedigend sind. Auch Männer können längere Affären haben. Sie beenden Affären aber oft, wenn sie emotionell zu eng und verpflichtend werden.
Moderne Beziehungen sind variabler
Mittlerweile ändert sich einiges in Beziehungsdingen. Das Klischee von der Frau, die Sex und Liebe nicht trennen kann, trifft heute nicht mehr so viele Frauen wie früher. Viele Frauen sind wirtschaftlich und emotionell unabhängig und durchaus in der Lage, Sex und Liebesgefühle voneinander zu trennen. Viele gönnen sich einen Lover, wann immer ihnen danach ist. Stress im Berufsleben oder eine gehobene Management-Position mit wenig Zeit für’s Privatleben können Beweggründe darstellen. Die „Versingelung“ in der Gesellschaft ist ein Phänomen, das der Liebe einen neuen Stellenwert gegeben hat.
Sex oder Liebe müssen nicht notgedrungen zu einer andauernden ehelichen Beziehung führen, die im häuslichen Miteinander ihren Ausdruck findet. Manche Männer haben mehrere Frauen, die voneinander wissen und sich respektieren. Frauen haben offen zwei Liebhaber. Nicht immer sind gleich große Gefühle im Spiel. Manchmal geht es nur um die Lust oder die regelmäßige Befriedigung sexueller Bedürfnisse mit einem guten Freund. Lieben muss man diesen deshalb noch lange nicht.
In den „offenen“ Beziehungen sind sexuelle Kontakte mit anderen erlaubt, solange sie nicht emotionell bedeutend sind. Auf alle Fälle ist für den Sex nichts weiter nötig als zwei Körper, die dafür bereit sind. Für die Liebe ist sehr viel mehr nötig. Wie sehr man sich von jemandem angezogen und verstanden fühlt, hängt von vielen Faktoren ab. Unverbindliche Beziehungen oder ernsthafte Liebesbeziehungen können das Leben gleichermaßen leichter, gelegentlich aber auch wesentlich komplizierter machen. Wichtig ist, dass bei einer unverbindlichen sexuellen Beziehung klare Vereinbarungen getroffen werden. Sexualität ist nicht zwangsläufig an liebende Gefühle gebunden. Ebenso wenig ist Liebe immer an Sexualität gebunden.
Bilder von Tina Franklin und Jesslee Cuizon über Flickr mit CC BY 2.0 Lizenz